Seit dem ersten Abschlussjahrgang im Schuljahr 1974/75 haben bis 2016 rund 4200 SchülerInnen in Österreich den Waldorfabschluss absolviert. Jedes Jahr kommen rund 150 weitere hinzu. Rund 80 % der WaldorfschülerInnen legen nach ihrer Waldorfschulzeit die Matura ab. Dies zeigt sich u.a. in einer Befragung von ehemaligen WaldorfschülerInnen, die der Waldorfbund in den Jahren 2003 und 2006 durchführte. Seit 2009 werden die Maturadaten der Abschlussklassen aufgrund von Informationen der Schulen erhoben. Hier zeigt sich ein Trend in Richtung 85 % – und dies mit überdurchschnittlich guten Ergebnissen: Mehr als 50 % der Waldorf-MaturantInnen absolvieren die Matura mit Auszeichnung bzw. gutem Erfolg.
In Österreich führen 10 Waldorfschulen im Waldorfbund Österreich eine voll ausgebaute Oberstufe bis zur 12. Schulstufe. Zur Erlangung der allgemeinen Hochschulreife ist nach der 12. Schulstufe das Ablegen der staatlichen Reifeprüfung (Matura) der übliche Weg. Die weiteren Möglichkeiten einer Studienberechtigungsprüfung oder einer Berufsreifeprüfung nach Absolvieren einer Lehre wurden in der Vergangenheit selten gewählt. Interessanterweise nutzen die wenigsten SchülerInnen private Institutionen oder öffentliche Angebote zur Absolvierung einer Externistenmatura, obwohl durch den Lehrplanvergleich 2010 einige Fachbereiche des Waldorfabschlusses in einem solchen Fall anerkannt werden.
Da die Bedingungen für das Absolvieren einer Matura in den Bundesländern höchst unterschiedlich sind, haben sich auch sehr verschiedene Maturawege bzw. Wege zur Erlangung der allgemeinen Hochschulreife in diesen 9 Schulen entwickelt:
Rudolf Steiner Schule Wien-Mauer
- Bis 2012 haben die WaldorfschülerInnen nach der 12. Schulstufe in der Regel die Abschlussklasse eines Oberstufenrealgymnasiums in Wien in Form einer „freiwilligen Wiederholung der 8. Schulstufe AHS“ besucht
- Seit 2012 besteht eine solide und erfolgreiche Kooperation mit einem staatlichen Abendgymnasium für Berufstätige in Wien; hier haben lernbereite SchülerInnen auch die Möglichkeit einer vorgezogenen Matura nach 4 Monaten (dies wird von knapp 30% der SchülerInnen in Anspruch genommen)
Rudolf Steiner Schule Wien-Pötzleinsdorf
- Zunächst über viele Jahre Externistenlehrgang an der Schule – dieser wurde aufgrund der Einführung der Zentralmatura für Externistenlehrgänge und der komplizierteren Bedingungen eingestellt
- Seit 2015 solide und erfolgreiche Kooperation mit dem staatlichen Abendgymnasium für Berufstätige in Wien – siehe oben
Rudolf Steiner Landschule Schönau
- Solide und erfolgreiche Kooperation mit dem staatlichen Abendgymnasium für Berufstätige in Wien – siehe oben
- Zusatzangebot CSE als Pilotprojekt im Gange
Freie Waldorfschule Wien-West
- Ab der 12. Schulstufe führt ein zweijähriger Lehrgang zum Internationalen Baccalaureat
Freie Waldorfschule Graz
- Langjährige und solide Kooperation mit einem öffentlichen Gymnasium: nach der 12. Klasse der Waldorfschule freiwillige Wiederholung der 8. Schulstufe AHS und Ablegen der Matura an diesem Gymnasium
Waldorfschule Karl Schubert Graz
- Kooperation mit einem öffentlichen Gymnasium wie Freie Waldorfschule Graz
Freie Waldorfschule Innsbruck
- Kooperation mit einem Abendgymnasium: Absolvieren der Matura nach einem Jahr, wobei bereits während des Besuchs der 12. Klasse einzelne Kurse belegt werden müssen, um die Matura dann auch nach einem weiteren Jahr ablegen zu können
Freie Waldorfschule Linz
- Lehrgang zur Externistenmatura im Haus („13. Klasse“) mit gewissen Vorbereitungsarbeiten in der 11. und 12. Klasse
Freie Waldorfschule Klagenfurt
- Auslaufender Lehrgang zur Externistenmatura im Haus („13. Klasse“) aufgrund geänderter Parameter im Rahmen der Zentralmatura. Umstieg auf CSE im Gange
Rudolf Steiner Schule Salzburg
- Kooperationsklasse mit dem Abendgymnasium Salzburg
- Zusatzangebot CSE im Gange
Die Einführung des neuseeländischen Certificate of Steiner Education (CSE) ist also derzeit in drei österreichischen Schulen im Gange. Der allgemeine Hochschulzugang per CSE ist aufgrund des Lissabonner Anerkennungsübereinkommens möglich. Dies wurde auch bereits erfolgreich umgesetzt: Seit Herbst 2017 studieren 4 SchülerInnen mit diesem Abschluss an der Universität Wien.
Die österreichischen Waldorfschulen haben sich – was den Oberstufenlehrplan betrifft – lange auf einer „Waldorfinsel der Seligen“ gewähnt, da sie den klassischen Waldorflehrplan der Oberstufe realisieren konnten. Bisher konnten zumindest die Schulen ohne direkte Anbindung an Matura-Lehrgänge im Haus den Waldorf-Oberstufenlehrplan ohne Konzessionen an Maturaanforderungen leben. Dazu gehören die konsequente entwicklungsorientierte Gestaltung der Epochen in der Oberstufe, was in allen Fachbereichen und besonders in den naturwissenschaftlichen Fächern als auch in Geschichte sehr wichtig ist. Dennoch haben die SchülerInnen ihren Maturaweg NACH der Waldorfschule erfolgreich absolviert. Dies zeigt, dass eine traditionelle Waldorf-Oberstufe sehr wohl zur Hochschulreife führt.
Auch in Österreich hat sich gezeigt, dass Anforderungen der Matura es erschweren, den Waldorf-Oberstufenlehrplan voll zu entfalten. Ein Beispiel dafür ist die sog. „vorwissenschaftliche Arbeit“, die ein Teil der Matura ist. Vom Ansatz her ist es eine Abschlussarbeit, die auf den ersten Blick unserer Jahresarbeit ähnelt. Fakt ist aber, dass die Anforderungen dort sowohl quantitativ als auch qualitativ sehr viel geringer sind. Es wird dadurch zunehmend schwerer, die waldorfspezifischen und hochwertigen Anforderungen in unseren Schulen durchzusetzen.
Wie auch immer die einzelne österreichische Waldorfschule „ihren“ Weg zur Matura bzw. zur Hochschulreife lebt und auch neu gestaltet, es ist stets ein Abwägen divergierender Interessen nötig sowie ein Anpassen an die Bedingungen im jeweiligen Bundesland. Fest steht, dass der Waldorfabschluss mit Jahresarbeit und großem Theaterstück – als individuelle und soziale „interne Reifeprüfung“ – hoch geschätzt bleibt!
Text: Angelika Lütkenhorst