21 Fragen an uns

1. Welche Kinder werden an einer Waldorfschule aufgenommen?

Waldorfschulen stehen grundsätzlich allen Kindern offen – unabhängig von Religion, ethnischer Herkunft, Weltanschauung und Einkommen der Eltern. Nach ausführlichen Informationsveranstaltungen findet für jedes Kind ein individuelles Aufnahmegespräch an der Schule statt. Auch in höhere Klassen können Schüler als Quereinsteiger aufgenommen werden.

2. Worin unterscheiden sich Waldorfschulen überhaupt von anderen Schulen?

Waldorfschulen wollen gleichermaßen intellektuelle, kreative, künstlerische, praktische und soziale Fähigkeiten bei den Kindern und Jugendlichen entwickeln. Alle Waldorfschüler durchlaufen ohne Sitzenbleiben 12 Schuljahre. Vom ersten Schuljahr an lernen die Schüler zwei Fremdsprachen. Gemeinsam besuchen Mädchen und Buben den Handarbeits- und auch den Werkunterricht. Die ersten zwei Stunden des Schultages erleben die Schüler in Form eines Epochenunterrichts. In der achten und zwölften Schulstufe studieren sie ein anspruchsvolles Theaterstück ein und setzen sich in einer großen Jahresarbeit mit einem Thema ihrer Wahl in Theorie und Praxis auseinander. Die Fächer Gartenbau und Eurythmie sind feste Bestandteile des Lehrplans.

3. Wer war Rudolf Steiner und was hat er mit der Waldorfpädagogik zu tun?

Rudolf Steiner ist der Begründer der Waldorfpädagogik. Emil Molt, Besitzer der damaligen Waldorf Astoria Zigarettenfabrik, gründete mit ihm zusammen die erste Waldorfschule in Stuttgart. Inhalt und Methode der Waldorfpädagogik beruhen auf Rudolf Steiners Erkenntnissen über die Gesetzmäßigkeiten der Entwicklung von Kindern und Jugendlichen. Neben der Pädagogik fanden Rudolf Steiners geisteswissenschaftliche Forschungen auch Eingang in die biologisch-dynamische Landwirtschaft, die Anthroposophische Medizin und die Kunst.

4. Muss ein Kind künstlerisch begabt sein, damit es für die Waldorfschule geeignet ist?

Nein, die Waldorfschule ist eine Schule für alle Begabungsrichtungen. Die neuere Hirnforschung hat aber eindrucksvoll belegt, dass Kinder und Jugendliche durch künstlerisches Üben viele Kompetenzen erwerben, die weit über die unmittelbare Tätigkeit hinausreichen. Wenn Waldorfschüler malen, zeichnen, plastizieren oder musizieren, geht es daher vor allem um die Schulung differenzierter Wahrnehmungen und die Entfaltung ihres schöpferischen Potenzials; die Begabungen der einzelnen Schüler werden dabei natürlich berücksichtigt. Waldorflehrer sind bestrebt, den Verstand, die Kreativität und die eigenständige Persönlichkeit ihrer Schüler gleichgewichtig zu entwickeln.

5. Ist es nicht so, dass hauptsächlich Kinder mit Lernschwierigkeiten auf eine Waldorfschule gehen?

Ausdrücklich nein. An Waldorfschulen lernen Kinder aller Begabungsrichtungen wie an den staatlichen Schulen auch, nur dass hier neben intellektuellen Fähigkeiten gleichgewichtig auch soziale und handwerklich-künstlerische Fähigkeiten gefordert und gefördert werden. Die individuelle Förderung von Kindern mit besonderem Assistenz- oder Förderbedarf ist eine wichtige Säule der Waldorfpädagogik, die entweder in Schulen mit einem inklusiven Konzept oder in heilpädagogischen Schulen umgesetzt wird.

6. Stimmt es, dass Waldorfschulen immer sehr große Klassen haben?

Das ist von Schule zu Schule verschieden, aber es ist richtig, dass es manchmal größere Klassen gibt. In vielen Fächern werden die Klassen dann geteilt. Kinder, die sich in einem Fach leichter tun, helfen denen, die es schwerer haben. Schülern, die ganz besonders schnell auffassen, geben die Lehrer schwierigere Zusatzaufgaben. In einer großen Klasse entsteht durch die Vielzahl der unterschiedlichen Persönlichkeiten, Temperamente und Eigenschaften der Kinder über zwölf Schuljahre eine soziale Gemeinschaft, in der die jungen Heranwachsenden aneinander lernen.

7. Stimmt es, dass es an Waldorfschulen keine Noten und kein Sitzenbleiben gibt?

An Stelle der Noten stehen verbale schriftliche Beurteilungen, in denen die Lehrer gleichermaßen auf die Persönlichkeitsentwicklung und die Lernfortschritte ihrer Schüler eingehen. Es zählt also nicht allein der Wissensstand, sondern die Gesamtentwicklung in einem bestimmten Zeitraum. Waldorfschüler lernen von der ersten bis zur zwölften Schulstufe in einer stabilen Klassengemeinschaft, unabhängig vom angestrebten Schulabschluss: Niemand wird unterwegs sitzen gelassen.

8. Ohne Noten und ohne Sitzenbleiben: Sind die Kinder dann überhaupt zum Lernen motiviert?

Da der Waldorfunterricht sehr handlungsorientiert und auf die jeweilige Entwicklungsphase der Schüler abgestimmt ist, stellt sich dieses Problem nur selten. Eigeninitiative entwickeln die Kinder und Jugendlichen nicht aufgrund von äußerem Leistungsdruck, sondern aus lebendigem Interesse und persönlicher Begeisterung für die vielfältigen Unterrichtsinhalte. Diese gestaltet der Lehrer kreativ und lebensnah, so dass sie sich an der persönlichen Erfahrungswelt der Kinder orientieren und ihnen eigene Erlebnisse vermitteln. Waldorflehrer bereiten sich auf diese anspruchsvolle pädagogische Tätigkeit an eigenen Seminaren und Hochschulen vor.

9. Ist Waldorfpädagogik nicht so etwas wie das Vorgaukeln einer heilen Welt? Kommen die Schüler später mit der „harten Realität“ zurecht?  

Die Praxis zeigt, dass gerade Waldorfschüler in der Berufswelt besonders geschätzt werden.
In einer Schule, die nicht nur die intellektuellen Fähigkeiten anspricht, entwickeln sich Schlüsselqualifikationen wie Teamfähigkeit, Kreativität und die Fähigkeit, prozessual zu denken – vom ersten Schultag an. Absolventenstudien¹ zeigen, dass Waldorfschüler in allen Studien- und Berufsfeldern sehr erfolgreich studieren und arbeiten.

10. Welche Abschlüsse können an einer Waldorfschule gemacht werden?

Die eigentliche Waldorfschulzeit endet nach der 12. Klasse mit dem Waldorfabschluss. Danach gibt es verschiedene Möglichkeiten sich auf die Matura vorzubereiten. Einige Waldorfschulen bieten dafür ein 13. Schuljahr an, die Schüler können auch die letzte Klasse einer AHS oder eines ORG besuchen und dort die Matura ablegen oder aber ein Abendgymnasium besuchen.

11. Ist die Waldorfschule eigentlich teuer?

Es ist ein Prinzip der Waldorfschule, kein Kind aus finanziellen Gründen abzulehnen. Obwohl Waldorfschulen erwiesenermaßen besser wirtschaften als Regelschulen, sind sie auf Elternbeiträge angewiesen. Zwar besteht das Recht auf freie Schulwahl, aber die Zuschüsse der öffentlichen Hand an die Privatschulen sind wesentlich niedriger als die Mittel, die sie für Regelschulen aufwendet. In Gesprächen zwischen Eltern und Vertretern der Schule werden die Schulbeiträge so festgelegt, dass diese einerseits den Notwendigkeiten des Schulbetriebes und andererseits den finanziellen Möglichkeiten der Eltern entsprechen.

12. Die Waldorfschulen nennen sich „freie Schulen“. Heißt das, dass die Kinder dort antiautoritär erzogen werden?

Der Begriff „freie Schulen“ bedeutet nicht, dass es keine Regeln gibt, sondern dass diese Schulen eine weitgehende pädagogische Autonomie haben. Waldorflehrerinnen und -lehrer bauen in der Unterstufe ein von „liebevoller Autorität“ geprägtes Verhältnis zu ihren Schülern auf. Kinder suchen ihre Grenzen. Nur wenn sie diese von den Erwachsenen erfahren, fühlen sie sich einerseits sicher und erleben sich andererseits als eigene Persönlichkeit. Im Laufe der Schulzeit wandelt sich das Lehrer-Schüler-Verhältnis immer mehr zu einer umfassenden Lernpartnerschaft.

13. Warum haben die Kinder in den ersten sechs bis acht Schuljahren nach Möglichkeit ein und denselben Klassenlehrer?

In einer Gemeinschaft, die von Beständigkeit und Rhythmus geprägt ist, können Kinder sich gesund entfalten. Um ihnen darin eine verlässliche Stütze zu sein, begleitet ein Waldorf-Klassenlehrer „seine“ Klasse nach Möglichkeit sechs bis acht Jahre lang und unterrichtet jeden Morgen mindestens die ersten beiden Stunden eines Schultags. In wechselnden „Epochen“ bringt er den Schülern jeweils über mehrere Wochen den Stoff unterschiedlicher Themengebiete nahe. Dabei lernt er seine Schüler sehr gut kennen und kann individuell auf ihre Stärken und Schwächen eingehen.

14. Was ist unter „Epochenunterricht“ zu verstehen?

Während der ersten beiden Stunden eines Schultags arbeiten die Schüler über mehrere Wochen intensiv an jeweils einem Fachgebiet. So haben die Schüler zum Beispiel drei Wochen lang jeden Morgen zwei Stunden Mathematik, Geografie, Deutsch, Geschichte oder ein anderes Hauptfach. Sie können sich auf diese Weise intensiv mit einem Stoffgebiet verbinden. Grundfertigkeiten wie Rechnen oder Schreiben festigen die Schüler über den Epochenunterricht hinaus in fortlaufenden Übungsstunden. Im Anschluss an den Epochenunterricht übernehmen Fachlehrer den Unterricht in Sport, Fremdsprachen, Eurythmie, Religion, Musik und in den handwerklich-künstlerischen
Fächern.

15. Kann ein Lehrer überhaupt in allen Fächern qualifiziert sein?

Klassenlehrer decken an einer Waldorfschule tatsächlich ein großes Spektrum an Fächern ab. In besonderen Ausbildungswegen, die sie in einem Vollstudium oder postgraduiert im Anschluss an eine Ausbildung an einem der Seminare oder an einer Hochschule mit Waldorfqualifikation durchlaufen, werden sie gezielt darauf vorbereitet. Für Klassen-, Fach- und Oberstufenlehrer gilt gleichermaßen, dass ihre Ausbildung mindestens gleichwertig zur staatlichen Ausbildung sein muss. In der Unter- und Mittelstufe liegt der Schwerpunkt allen Lernens nicht nur auf der Vermittlung reinen Fachwissens, sondern es geht auch darum, den Schülern eine lebendige, erfahrungsgesättigte Beziehung zu den Lerninhalten zu ermöglichen. So kann Lernen Freude machen – ein Leben lang.

16. Wie werden die Jugendlichen in der Oberstufe auf die Berufswelt vorbereitet?

In der Oberstufe unterrichten in allen Fächern akademisch beziehungsweise handwerklich ausgebildete Lehrer die Jugendlichen. Die praktischen Fähigkeiten, die die Schüler sich über die gesamte Schulzeit hinweg angeeignet haben, finden von der achten Schulstufe an Ergänzung durch diverse Praktika: In einem Landwirtschafts- und einem Forstpraktikum, einem Feldmess-, einem Betriebs- und einem Sozialpraktikum erhalten die Schüler eine ausgesprochen lebensnahe Ausbildungsgrundlage. Dabei liegt der eigentliche Sinn der Praktika nicht in der Berufsfindung, sondern vor allem im Erüben wichtiger sozialer Fähigkeiten.

17. Kommt die Vorbereitung auf die Abschlüsse nicht zu kurz, wenn Praktika stattfinden, Theater gespielt und handwerklich gearbeitet wird?

Die Erfahrung zeigt, dass die Prüfungsleistungen hierunter nicht leiden. Denn die Abschlussnoten der Waldorfschüler liegen im Durchschnitt mindestens auf dem gleichen Niveau wie bei Schülern von staatlichen Schulen.

18. Werden die Kinder an der Waldorfschule weltanschaulich unterrichtet?

Die von Rudolf Steiner entwickelte Anthroposophie ist eine Erkenntnishilfe für die Lehrer, zu keinem Zeitpunkt aber ist sie Gegenstand des Unterrichts. Da die Waldorfschule eine überkonfessionelle Schule ist, entscheiden zunächst die Eltern, welchen Religionsunterricht ihr Kind besuchen soll. Später entscheiden die Jugendlichen das dann selbst.

19. Was hat es mit dem Fach Eurythmie auf sich?

Eurythmie ist eine Bewegungskunst, die an Waldorfschulen unterrichtet wird. Im Unterschied zu gymnastischen, pantomimischen oder tänzerischen Bewegungen, die völlig frei gestaltet werden können, gibt es in der Eurythmie für jeden Buchstaben und jeden Ton eine ganz bestimmte Gebärde – es handelt sich also um sichtbar gemachte Sprache und Musik. In der Lauteurythmie stellen die Schüler zum Beispiel dar, was in einem Gedicht an Lauten lebt, und in der Toneurythmie, was in den Tonintervallen einer musikalischen Komposition lebt. Eurythmie ist aber nicht nur ein Unterrichtsfach an den Waldorfschulen, sie ist auch Bühnenkunst und Bestandteil erfolgreicher Therapien.

20. Welche Rolle spielen die Naturwissenschaften an der Waldorfschule? Und wie stehen die Waldorfschulen zum Umgang mit dem Computer?

An der Waldorfschule stehen die naturwissenschaftlichen Fächer gleichgewichtig neben allen anderen Unterrichtsfächern. Informatik ist fester Bestandteil im Lehrplan der Waldorfschulen. Waldorfschulen legen allerdings Wert darauf, dass die Kinder die Welt zuerst mit ihren Sinnen erfahren und daran ihr kreatives Potenzial und soziale Kompetenz entwickeln. In der Oberstufe ist der Umgang mit der Soft- und Hardware für jeden Schüler eine Selbstverständlichkeit. Eine PISA-Studie² zu den Naturwissenschaften bescheinigte Waldorfschülern weit überdurchschnittliche naturwissenschaftliche Kompetenzen und führte dies unmittelbar auf die praktizierte Unterrichtsmethode zurück.

21. Was ist, wenn meine Familie umzieht?

In Österreich sind die Waldorfschulen in allen Bundesländern vertreten. Weltweit gibt es über 1000 Waldorfschulen, wobei jedes Jahr weitere Neugründungen dazukommen. Damit sind die Waldorf- und Rudolf Steiner-Schulen die größte überkonfessionelle und nichtstaatliche pädagogische Bewegung der Welt. Eine aktuelle Weltschulliste finden sie auf unserer Website (www.waldorf.at).

Quellen:

¹Absolventenstudie
Barz, Heiner, Randoll, Dirk et al: Absolventen von Waldorfschulen. Eine empirische Studie zu Bildung und Lebensgestaltung, Wiesbaden 2007. (E-Book)

²Pisa-Studie Österreich
www.bifie.at/buch/815/9/6

Stand: März 2014
Text: Bund der Freien Waldorfschulen (Website) überarbeitet.

Waldorfbund